In Ingolstadt entsteht derzeit ein Wohngebäude, das vollständig ohne klassische Heiztechnik auskommt. Das dreigeschossige Haus mit insgesamt 15 Wohnungen zeigt, wie sich durch durchdachte Bauweise und innovative Konzepte ein angenehmes Raumklima erzeugen lässt – ganz ohne Gasthermen, Wärmepumpen oder zentrale Heizsysteme.
Pilotprojekt im Rahmen staatlicher Förderung
Das Projekt wird von der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft (GWG) Ingolstadt umgesetzt. Es gehört zu insgesamt 19 Pilotvorhaben, die im Auftrag des bayerischen Bauministeriums entwickelt werden, um alternative Bauweisen nach dem Gebäudestandard EH+ zu erproben. Ziel ist es, effizienter, kostengünstiger und schneller zu bauen, ohne dabei auf Wohnkomfort zu verzichten. Für den Bau wurden rund 6,5 Millionen Euro veranschlagt, nach aktuellen Schätzungen dürften die tatsächlichen Kosten sogar etwas geringer ausfallen.
Bauweise ohne Heiz- und Lüftungsanlage
Statt einer herkömmlichen Heizungs- oder Lüftungstechnik basiert das Konzept auf einer massiven und gleichzeitig innovativen Bauweise. Außenwände mit einer Stärke von rund 50 Zentimetern bestehen aus Ziegeln mit Holzfüllung und sind zusätzlich mit einer Holzverschalung versehen. Auch die Innenwände wurden aus Ziegeln gefertigt, während Decken und Wohnungstrennwände aus Beton bestehen. Diese Materialien übernehmen eine zentrale Funktion: Sie speichern die Wärme, die durch Sonneneinstrahlung, elektrische Geräte oder die Anwesenheit der Bewohner entsteht, und geben sie gleichmäßig wieder ab.
Automatisierte Regulierung durch Sensoren
Ein intelligentes Sensorsystem überwacht die Raumwerte. Temperatur, Luftfeuchtigkeit und CO₂-Gehalt werden kontinuierlich erfasst. Bei Bedarf öffnen sich automatisch schmale Fenster, um die Luftqualität zu verbessern und ein gesundes Raumklima zu gewährleisten. Damit wird auf technische Lüftungsanlagen verzichtet, ohne Einschränkungen im Wohnkomfort hinnehmen zu müssen.
Vorbild aus Österreich
Das Konzept ist nicht völlig neu. Ein vergleichbares Gebäude wurde bereits vor über einem Jahrzehnt in Lustenau in Vorarlberg realisiert. Dort dient ein Bürogebäude desselben architektonischen Prinzips als praktisches Beispiel dafür, dass auch ohne Heiztechnik ganzjährig Temperaturen zwischen 22 und 26 Grad Celsius erreicht werden können. Die Erfahrungen aus diesem Projekt flossen auch in die Planung des Ingolstädter Wohnhauses ein.
Kühl im Sommer, warm im Winter
Das Fassadendesign unterstützt zusätzlich die Regulierung des Klimas im Gebäude. Die tief eingesetzten Fenster sorgen dafür, dass im Sommer, wenn die Sonne hoch am Himmel steht, kaum direkte Sonneneinstrahlung ins Innere gelangt. Dadurch erübrigt sich ein gesonderter Sonnenschutz. Nachts werden die Fenster geöffnet, sodass kühlere Außenluft die Innentemperatur senkt. Im Winter hingegen dringt das Sonnenlicht durch den veränderten Sonnenstand direkt in die Räume ein und liefert zusätzliche Wärme.
Perspektive für die Bauwirtschaft
Mit diesem Projekt entsteht in Bayern ein Beispiel dafür, wie energieeffizientes und ressourcenschonendes Bauen aussehen kann. Der Verzicht auf klassische Heizungsanlagen reduziert nicht nur den Energieverbrauch, sondern vereinfacht auch die Gebäudetechnik. Ob sich das Konzept in größerem Maßstab durchsetzen wird, hängt von weiteren Praxiserfahrungen und der Akzeptanz bei künftigen Bauherren ab. Klar ist jedoch, dass das Ingolstädter Vorhaben einen wichtigen Beitrag zur Diskussion um nachhaltiges Wohnen und klimafreundliche Bauweisen leistet.